Pressemeldungen - Westfalen-Blatt - Rekommunalisierung Strom/Gas Drucken
»Noch keine Ausschreibung verloren«
Mittwoch, 10. Juli 2013
Im Interview: Herbert Jung (Gelsenwasser Energienetze) und Kay-Uwe Schneider (Westfalica)

Bad Oeynhausen (WB). Der Energiemarkt in Bad Oeynhausen und Löhne bestimmt aktuell manche politische Debatte. Im Mittelpunkt stand zuletzt die Kommunalisierung des Stromnetzes. Mindestens ebenso bedeutsam ist die Ende 2014 anstehende Neuvergabe der Konzession für das Gasnetz. Dazu hat Claus Brand mit dem Geschäftsführer des jetzigen Netzbetreibers Gelsenwasser Energienetze, Herbert Jung , gesprochen. Weiterer Gesprächspartner war Westfalica-Geschäftsführer Kay-Uwe Schneider .

Zu welchem Termin erfolgt in Bad Oeynhausen und Löhne die Vergabe der Konzessionen für das Gasnetz für erneut 20 Jahre? Wie hoch sind die Konzessionsabgaben pro Jahr?

Herbert Jung: Für Bad Oeynhausen läuft der Vertrag zum 14. September 2014, für Löhne zum 21. Dezember 2014 aus. Die Höhe der Konzessionsabgabe ist vom Gesetzgeber vorgegeben und durch die Konzessionsabgabeverordnung bestimmt. Sie hängt von der Größe der Stadt, der Einwohnerzahl und von der Menge ab, die durchgeleitet wird. Der Betrag bewegt sich bei Kommunen in der Größenordnung von Bad Oeynhausen und Löhne zwischen 200 000 und 300 000 Euro pro Jahr.

Was investieren Sie pro Jahr ins Netz in Bad Oeynhausen und Löhne?

Jung: Beim Netz geht es zum einen um das Versorgungsnetz und zum anderen um die Netzanschlüsse für die Bürger. In den Erhalt und die Erweiterung der Versorgungsnetze in Bad Oeynhausen und Löhne investieren wir pro Jahr durchschnittlich 1,2 Millionen beziehungsweise 800 000 Euro. Die Herstellung neuer Hausanschlüsse bieten wir zurzeit für etwa 300 Euro. Jeder neue Netzkunde erhält so einen Rabatt von 1000 Euro. Wir machen das, um für alle die Situation im Gasgeschäft positiv zu gestalten: für die Kommune, für die Bürger und für uns. So geben wir Anreize für die Verdichtung des Netzes, für Neuanschlüsse und sorgen so durch die Umstellung von alten Erdöl-Heizungen auf moderne Erdgas-Brennwerttechnik für eine deutliche Reduktion des CO2-Ausstoßes.

Angenommen, die Städte Bad Oeynhausen und Löhne wollten das Netz kaufen. Was müssten sie dafür zahlen?

Jung: Das müsste dann verhandelt werden, da ein Netz nicht nur aus einer Ansammlung von Rohren besteht. Es handelt sich um ein komplexes System aus Leitungen, Einspeiseanlagen, Gasdruckregelanlagen, Messanlagen, Hausanschlüssen und mehr, das auch in die überregionale Versorgungsstruktur eingebunden ist. Daher kann ich keinen konkreten Verkaufswert nennen. Ein solcher würde darüber hinaus auch erst von der Regulierungsbehörde anerkannt werden müssen.
Für eine Kalkulation müsste man abgrenzen, was zum Versorgungsnetz gehört und was nicht und welchen Schwerpunkt die Städte bei ihrem Einstieg in die Energieversorgung setzen wollen: Es gibt einen Hochdruck-Leitungsring, der neben Bad Oeynhausen und Löhne auch weitere Konzessionsgemeinden von uns versorgt. Hochdruck-Netze sind meist nicht Bestandteil eines Konzessionsvertrages. Sie können davon ausgehen, dass die Netzkaufpreise deutlich im zweistelligen Millionenbereich liegen würden.

Läuft das Konzessionsverfahren für das Netz bereits, mit einer Bewerbung von Gelsenwasser Energienetze?

Jung: Ja, offiziell ausgeschrieben ist eine Konzession, sowohl für Strom als auch für Gas. Beide sind zeitgleich auf den Markt gekommen, wobei die Gaskonzession noch länger läuft. Wir haben uns beworben. Die Vergabestelle teilt niemals mit, wie viele Mitbewerber es gibt. Es ist aber öffentlich bekannt, dass die Stadtwerke Bad Oeynhausen sich beworben haben. Wenn ich mal spekulieren dürfte, würde ich annehmen, dass auch Eon Westfalen-Weser dabei ist, zumindest bei Strom. Bei Gas kann ich das nicht beurteilen. Die Städte haben auch sicher den einen oder anderen Interessenten aus dem Umland.

Wie viele Arbeitsplätze hat Westfalica am Standort Bad Oeynhausen?

Schneider: Es gibt etwa 100 Mitarbeiter, die für den Vertrieb oder im Netzbetrieb arbeiten. Westfalica ist eine Standort-Gesellschaft. Viele Mitarbeiter wohnen in Bad Oeynhausen und in der näheren Umgebung. Wir fühlen uns der Region eng verbunden. 15 Beschäftigte davon sind im Kundenservice für die kaufmännische Betreuung aller Gasnetzgebiete der Gelsenwasser Energienetze in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verantwortlich. Das machen wir zentral von Bad Oeynhausen aus. Das sind alles Dinge, die in der jetzigen Diskussion selten auftauchen. Zum Vergleich: Bei Gelsenwasser Energienetze in Gelsenkirchen arbeiten 20 Leute für zentrale Aufgaben. Und fragen Sie doch mal die Kämmerer, wie viel Gewerbesteuer wir als regionales Unternehmen zahlen? Es sind mehr als 400 000 Euro im Jahr, also mehr als die Konzessionsabgabe. Der Standort Bad Oeynhausen profitiert bei der Gewerbesteuer nicht nur von den Erträgen aus dem Netzbetrieb in Bad Oeynhausen, sondern von der Ertragskraft aller Unternehmensbereiche der Gelsenwasser. Das stellt man in Frage, wenn die Kommunen den Netzbetrieb selbst übernehmen.

Worin besteht für Westfalica das größte Risiko im Konzessionsverfahren?

Jung: Im Verlust der Konzession, wenn ein Mitbewerber den Zuschlag bekommt. Dann müssten wir das Netz verkaufen. Bis heute haben wir noch keine Gaskonzession, die zur Ausschreibung stand, verloren. Durch unsere Kompetenz haben wir sogar weitere hinzugewinnen können.

Können Stadtwerke wie in Bad Oeynhausen Netz und Vertrieb ohne kompetenten Partner betreiben? Gibt es die mögliche Konstellation, dass die Stadtwerke das Netz als Inhaber der Konzession betreiben, und Westfalica als vertraglicher Partner dennoch im Boot bleibt?

Jung: Das ist denkbar. Dabei ist die Frage zu beantworten, was die Stadtwerke wollen. Das kann ich nicht beurteilen. Gelsenwasser ist aufgestellt als Dienstleister der Kommunen und an deren Zielen orientiert. Diese Modell ist so erfolgreich, dass wir mit Kommunen mehr als 80 Gesellschaften gegründet haben.

Was hat das aus Ihrer Sicht zur Folge?

Jung: Es kommen verschiedene Varianten in Frage. Womöglich geht der politische Wille dahin, noch einmal zu Kooperationsmodellen im Konzessionsvergabeverfahren aufzurufen. Das kann ich mir gut vorstellen. Dann wäre eine Fachpartnerschaft mit den Stadtwerken als gleichwertige Partner wünschenswert.

Was verstehen Sie unter Netzsicherheit im Gasbereich?

Jung: Sie bedeutet für uns, dass alle Anlagen des Netzes dem Stand der Technik entsprechen, Versorgungsunterbrechungen minimiert werden und keine Gefahren von unseren Netzanlagen ausgehen. Dafür investieren wir ständig in den Erhalt der Netze, erneuern planmäßig Netzteile im Rahmen von Rehabilitationskonzepten und halten für Stör- und Notfälle einen breit aufgestellten Bereitschafts- und Notfalldienst vor.

Was muss in den nächsten fünf Jahren in das Gasnetz investiert werden?

Jung: Das Netz ist in sehr gutem Zustand. Nicht ohne Grund unterliegen die Netze von Gas und Strom vom Gesetzgeber her sehr hohen Anforderungen, was die Sicherheit angeht. Bei uns gibt es keine Gas-Unterbrechungen. Damit das so bleibt, muss auch in den Folgejahren in gleicher Größenordnung wie bisher in die Erhaltung und somit die planmäßige Erneuerung von Leitungen investiert werden.
Bleibt Westfalica Strom- und Gas-Lieferant vor Ort, wenn die Konzession für das Netz ein anderer erhält und keine vertragliche Zusammenarbeit entsteht?

Schneider: Ja, denn die Konzessionsvergabe betrifft nur den Netzbetreiber und nicht den Vertrieb. Auch wenn der Netzbetreiber wechseln würde, bleibt Westfalica der Energielieferant für die Kunden. Der Kunde schließt ja den Liefervertrag mit dem Lieferanten und nicht mit dem Netzbetreiber. Von der hohen Qualität des Netzes profitieren wir als Westfalica und somit auch die Kunden.
Gibt es einen Termin, bis zu dem die Vergabe der Konzession erfolgen muss?

Jung: Nein. Es gibt das laufende Verfahren, in dem ein erstes unverbindliches Angebot für eine Konzession abgegeben wurde. Die Aufforderung zur Abgabe eines endgültigen und verbindlichen Angebotes ist noch nicht erfolgt. Möglich ist, dass die Stadt auch zu Angeboten von Kooperationslösungen auffordert. Wir können uns Modelle gemeinsam mit den Städten und den Stadtwerken beziehungsweise den Wirtschaftsbetrieben Löhne vorstellen.

Wie schätzen Sie den weiteren Ablauf ein?

Jung: Ich glaube nicht, dass wir kurzfristig eine politische Entscheidung zur Konzession bekommen. Das ist auch nicht notwendig. Das Auslaufen eines Vertrages bedeutet nicht, dass der alte Konzessionär die Arbeit einstellt. Er führt den Netzbetrieb weiter, bis eine Entscheidung gefallen ist.

© 2013 WESTFALEN-BLATT - Bad Oeynhausener Anzeiger und Tageblatt vom 10.07.2013




Daten und Fakten
In Bad Oeynhausen und Löhne hat der Gasvertrieb historische Wurzeln. Im Jahr 1889 ist das Bad Oeynhausener Gaswerk gegründet worden, anfangs sogar mit eigenem Gleisanschluss. Von 1955 an hat das Oeynhausener Gaswerk begonnen, auch Löhne zu erschließen. 1978 hat die damalige Gasversorgung Westfalica das Netz übernommen. Heute umfasst das Netz- und Versorgungsgebiet der getrennt geführten Netzgesellschaft und des Energieversorgeres Westfalia zudem die Kommunen Hüllhorst, Petershagen, Hille und weitere in Südniedersachsen. Das Leitungsnetzt umfasst etwa 1500 Kilometer. 33 000 Netzanschlüsse gibt es, darunter 9600 in Bad Oeynhausen und 7500 in Löhne.

© 2013 WESTFALEN-BLATT - Bad Oeynhausener Anzeiger und Tageblatt vom 10.07.2013