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Im schlimmsten Fall droht Haftstrafe
Freitag, 23. November 2012
Anklage zu Zinsgeschäften: Bürgermeister und Kämmerer vertrauen darauf, dass Gericht Anschuldigungen zurückweist

Von Claus Brand
Bad Oeynhausen / Bielefeld
(WB). Beim Abschluss von Zinstauschgeschäften schreibt die Staatsanwaltschaft Bürgermeister und Kämmerer kraft ihres Amtes hohe Verantwortung zu. Das hat Staatsanwalt Dr. André Meier bei der Erläuterung der Anklageschrift unterstrichen. Bürgermeister Klaus Mueller-Zahlmann und Kämmerer Marco Kindler sollen sich wegen Untreue verantworten.

Bei drei von mehr als 20 Zinstausch- oder Derivatgeschäften sieht die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Untreue gegeben. Sie spricht sogar von schweren Fällen. Dr. André Meier führt dabei unter anderem ins Feld, dass Folgegeschäfte nach einem Ausstieg aus einem seiner Meinung nach schon besonders riskanten Geschäft durchaus mit einem noch höheren Risiko belastet gewesen seien. Wörtlich sagte er: »Es sind in mehreren zeitlich aufeinander folgenden Blöcken Spekulationsgeschäfte abgeschlossen worden, die sich ungünstig entwickelt haben. Eine ausreichenden Risikoanalyse im Vorfeld hätte das hohe Risiko dieser Geschäfte erkennbar gemacht und gezeigt, dass die Verlust-Wahrscheinlichkeit für die Kommune wesentlich zu hoch ist.«

Weiter sagte er: »Man hätte im Vorfeld sich unabhängig beraten lassen müssen. Wenn man die notwendige Sachkunde nicht selbst hat, was hier sicherlich nicht so war, weil es sich um sehr komplexe Geschäfte handelte, hätte man freiberufliche Berater oder auch in der Wissenschaft tätige Personen hinzuziehen müssen. Sie hätten unabhängig von eigenen Interessen objektiv eine Analyse vornehmen können.« Damit kritisierte er in erste Linie, dass sich Bürgermeister und Kämmerer offenbar nur von der West LB hätten beraten lassen. Erschwerdend komme hinzu, dass zwei andere Banken beim Bemühen, Verluste aus vorzeitig aufgelösten Verträgen in neue einzuspeisen, aufgrund des bestehenden Interessenkonfliktes zwischen Kommune und Bank bei Gewinnen oder Verlusten, abgelehnt hätten. Meier: »Die Beratung hat hier vielmehr durch das Geldinstitut stattgefunden, mit dem die Verträge auch geschlossen wurden. Das ist problematisch, weil die Verträge zwingend für die eine Seite einen Gewinn und für die andere einen Verlust in gleicher Höhe bringen, so dass man natürlich bei seinem Vertragspartner davon ausgehen muss, dass er eigene Interessen verfolgt und so die Beratung nicht objektiv sein kann.« Hier führt die Staatsanwaltschaft an, »dass Bürgermeister und Kämmerer ihrer Vermögensbetreuungspflicht in ihrem Amt« nicht nachgekommen seien, mit ihnen anvertrautem Geld.
Im Zusammenhang mit Derivaten gibt es dazu bislang keine Rechtssprechung mit strafrechtlicher Relevanz. Dazu meinte Staatsanwalt Christoph Mackel, Sprecher der Behörde: »Der Sachverhalt ist sehr komplex. Es ist eine Anklage in einem sehr besonderen Verfahren. Es ergibt sich aufgrund dieser neuen Finanzinstrumente für die öffentliche Hand. Das Verfahren wird einiges an Aufmerksamkeit erzeugen. Die große Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht wird das, was Dr. Meier festgestellt hat, neu prüfen. Und das wird mit Sicherheit nicht in wenigen Wochen möglich sein.« Aus Juristenkreisen war zu vernehmen, dass mit einer Entscheidung, ob es zur Hauptverhandlung kommt, erst in Monaten zu rechnen ist. Das Strafmaß, um das es gehen könnte, beginnt laut Staatsanwaltshaft bei sechs Monaten.

ZTB-Anklage
Bei diesem Themenbereich sieht sich Kämmerer Marco Kindler in seiner Funktion als ZTB-Geschäftsführer mit einer Anklage wegen Insolvenzverschleppung konfrontiert. Im Kern macht sich der Vorwurf daran fest, dass er nach Meinung der Staatsanwaltschaft Ende November 2004 hätte Insolvenzantrag stellen müssen. Ein Jahr zuvor habe die Stadt den Darlehnsvertrag zum ehemals von der ZTB erworbenen Grundstück gekündigt. Die Forderung daraus, etwa 766 000 Euro - habe das ZTB auch nach Ablauf einer zwölfmonatigen Frist nicht bedienen können. In der Folge sei dies sogar einmal pro Jahr angemahnt worden. Zum anderen seien für das ZTB über die Wagniskapital-Gesellschaft DVC und auch die PAZ, die mit der Entwicklung des Medikamentes befasst gewesen sei, keine Einnahmen zu erwarten gewesen, und wenn überhaupt, in einem nicht überschaubarem Zeitraum. Meier: »Seit 2006 sind, wie es Pflicht ist, die Bilanzen zum Jahresende auch nicht mehr innerhalb der vorgesehenen Frist von sechs Monaten eingestellt worden. Wenn, nur mit Verzögerung.« Erfolgen muss dies zum Beispiel im Unternehmensregister.
Kommt es zu einer Hauptverhandlung, steht laut Staatsanwaltschaft ein Strafmaß von einer Geld- bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren im Raum.
Aktenzeichen: 56Js1104/09.
Hintergrund: Lokalseite 3

© 2012 WESTFALEN-BLATT - Bad Oeynhausener Anzeiger und Tageblatt vom 23.11.2012




So geht es weiter
Vom Landgericht wird geprüft, ob es die Einschätzung der Staatsanwaltschaft in den einzelnen Punkten teilt, Anklage erheben zu wollen. Dabei kommen als Ergebnis jeweils diese Varianten in Betracht:
Das Gericht stimmt der Eröffnung eines Hauptverfahrens zu.
Das Gericht sieht Klärungsbedarf zur Einschätzung der Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben, und schickt die Unterlagen mit Nachfragen an die Staatsanwaltschaft zurück.
Das Gericht teilt die Bewertung des Sachverhaltes durch die Staatsanwaltschaft nicht und erlässt sofort einen Nicht-Eröffnungsbeschluss mit Blick auf ein Hauptverfahren.
Bei jeder Variante besteht die Möglichkeit, dass die Partei, die nicht einverstanden ist, bei der zuständigen Stelle Beschwerde einlegt. Ausnahme: Sollte es ein Hauptverfahren geben, besteht keine Beschwerdemöglichkeit.

Beteiligte informiert
Vor der Bekanntgabe gestern Nachmittag hat die Staatsanwaltschaft die Beteiligten informiert. Staatsanwalt Dr. André Meier: »Ich habe mehrfach mit den Anwälten telefoniert. Zudem sind die Rechtsbeistände schriftlich informiert worden.«

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