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Die Rathauszocker
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Freitag, 24. Juli 2009
Im März berichteten wir über Bürgermeister, die die Infrastruktur ihrer Gemeinden nach Amerika verscherbelt hatten. Nun die Fortsetzung: Kein Staatsanwalt ermittelt. Und es stellt sich heraus, dass die Städte immer riskanter spielen: Sie haben mit den Banken um Zinsen gewettet

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Swap-Desaster
Bad Oeynhausen belegt
den 7. Platz
...Aber kaum waren die Leasinggeschäfte 2004 überwunden, standen die vornehm gekleideten Abgesandten der Banken wieder in Baranowskis Amtsstube, um ihm ein neues »risikoloses« Geschäft anzubieten. Wieder sah das Geschäftsmodell sehr verschachtelt aus. Hatte denn keiner etwas gelernt? Aber Baranowski wusste, was zu tun war. »Ich habe die Gespräche nicht fortgesetzt und bin da im Nachhinein auch sehr froh drüber.«

Was die Banken dem Bürgermeister da verkaufen wollten, waren Swaps und Spread-Ladder-Swaps. Das klingt nach wuseligen Figuren aus amerikanischen Computerspielen, aber es sind die Nachfolgemodelle der Leasinggeschäfte. Vor allem Berater der Deutschen Bank versuchten, sie den Kommunen schmackhaft zu machen. Swaps und Spread-Ladder-Swaps laufen auf reines Zocken hinaus – Wettgeschäfte mit Steuergeldern.

Bei Swaps werden Kredite mit langer Laufzeit und hohen Zinsen gegen Kredite mit kurzer Laufzeit und niedrigen Zinsen getauscht. Üblicherweise schließen Kämmerer langfristige Kredite ab, Laufzeiten von 10 bis 30 Jahren sind nicht selten. Der Vorteil des neuartigen Tauschgeschäfts ist, dass der langfristige Kredit beispielsweise einen Zinssatz von fünf Prozent hat, der kurzfristige nur vier Prozent. Also sinkt mit dem Tausch die Zinslast. Ein Geschäft, das sich lohnt – solange am Kapitalmarkt alles normal läuft. Steigt aber das Zinsniveau, beginnt das Problem. Denn wenn der kurzfristige Kredit ausgelaufen ist, muss ein neuer Kredit aufgenommen werden, dessen Zinssatz nun beispielsweise bei sechs Prozent liegen kann, also über den Kosten des ursprünglichen Darlehens. Dann drohen Millionenverluste.

Spread-Ladder-Swaps sind noch gewagter: Bei ihnen schließen Bank und Kommune als Wettgegner zusätzlich eine Wette darauf ab, wie sich der Abstand zwischen kurz- und langfristigem Zinsniveau entwickeln wird. »Die Kommunen haben nahezu regelmäßig auf einen sich vergrößernden Abstand gesetzt«, schreibt der Bund der Steuerzahler. »Eingetreten ist das Gegenteil.« Damit haben die Städte reihenweise ihre Wetten an die Bank verloren – und damit viel Geld. Kämmerer und Bürgermeister in Hunderten von Städten haben sich wie Spieler in Kasinosälen verhalten und wissen nun nicht, wie sie ihren Bürgern die Pleite erklären sollen.

In Nordrhein-Westfalen, dem Land mit den meisten Zockerstädten, hat der Bund der Steuerzahler alle 396 Kommunen des Landes aufgefordert, mitzuteilen, ob sie Zinswetten abgeschlossen haben, und wenn ja, mit welchem Ergebnis. Fast alle gaben Auskunft. Fast alle haben Swaps, Doppelswaps, Zinsswaps oder Forwardswaps abgeschlossen – haben sich also wie Investmentbanker verhalten. Ein gutes Dutzend Städte hat sich dabei richtig verzockt. Allen voran Hagen am Rand des Sauerlands mit 50 Millionen Euro Verlust.

Das Gehalt von 1400 Erzieherinnen mit Swaps verspielt

Auch außerhalb Nordrhein-Westfalens rissen Wettgeschäfte die Finanzen tief ins Minus, so bei den Stadtwerken Pforzheim (vier Millionen Euro) oder den Würzburger Verkehrsbetrieben (drei Millionen). Aber nur selten mussten die Verantwortlichen gehen. Der Remscheider Kämmerer legte sein Amt nieder. Im Kreis Borken trat der Landrat als Aufsichtsratschef der Entsorgungsgesellschaft Westmünsterland zurück; er räumte seine Mitschuld an den vier Millionen Euro Verlusten ein. Der Geschäftsführer der kommunalen Wirtschaftsbetriebe Lübecke, einer Stadt im Nordosten Nordrhein-Westfalens, wurde seines Postens enthoben; er hatte einen Millionenkredit aufgenommen und sechsstellige Verluste gemacht. Aber der Haushaltsexperte des Steuerzahlerbunds Nordrhein-Westfalen, Eberhard Kanski, hält die Konsequenzen nicht für ausreichend. »Es müssen auch Schadensersatzansprüche geprüft werden.« Und die Rolle der Stadträte müsse untersucht werden; für die Verluste dürften nicht allein die Steuerzahler geradestehen.

Aber wieder ermittelt kein Staatsanwalt. Denn wiederum müsste den Kommunalpolitikern Vorsatz nachgewiesen werden. Mögen diese Wettgeschäfte auch noch riskanter gewesen sein als die Leasinggeschäfte – den Tatbestand der Untreue erfüllen sie ebenfalls nicht, meint der auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Anwalt Daniel Krause. Untreue, das würde bedeuten: Die Verantwortlichen hatten vor, ihren Gemeinden zu schaden. Die Zinswetten seien jedoch kein vorsätzliches, sondern allenfalls grob fahrlässiges Verhalten.

Viele Städte versuchen nun, von ihrer Schuld abzulenken und sie allein den Banken zuzuschieben. Je mehr Geld sie verzockt haben, desto lauter rufen die Kommunen nach Entschädigung, am lautesten die Stadt Hagen. Sie hatte den bundesweit höchsten Verlust bei Zinswetten gemacht – rund 50 Millionen Euro. Davon könnte man, zum Beispiel, ein Jahr lang 1400 Erzieherinnen in Kindertagesstätten bezahlen. Die CDU-Stadtkämmerin Annekathrin Grehling verwettete die Summe, als sie vor vier Jahren 170 Millionen Euro in einen Spread-Ladder-Swap der Deutschen Bank steckte. Viel spricht dafür, dass sie und ihr Oberbürgermeister Peter Demnitz von der SPD nicht wussten, was sie taten.

Die Stadt verklagte daraufhin die Deutsche Bank. Sie sei falsch beraten worden, argumentierte die Stadt, vor allem habe die Bank nicht deutlich gemacht, dass sie nicht der Berater der Stadt sei, sondern der Wettgegner. Das Landgericht Wuppertal wies die Klage ab, die Stadt sei im Geschäft mit Zinswetten »eine sehr erfahrene und professionelle Kundin« gewesen.

Viele Kommunen haben die Deutsche Bank inzwischen wegen der Zinswetten verklagt, und jedes Gericht beurteilt die Rolle der Bank anders. So sah es das Landgericht Frankfurt am Main als erwiesen an, dass die Deutsche Bank ihre Beratungspflicht gegenüber den Pforzheimer Stadtwerken grob verletzt habe, und verurteilte die Bank zum vollen Schadensersatz von vier Millionen Euro plus Zinsen. Das Landgericht Magdeburg hingegen hat die Klage eines Wasserversorgers der Stadt abgewiesen. Das Landgericht Würzburg wiederum verurteilte die Bank zu einem teilweisen Schadensersatz gegenüber den Würzburger Verkehrsbetrieben.

In Hagen wurde außerdem die Kämmerin Grehling wegen des Verdachts auf Untreue angezeigt. Aber das Verfahren wurde eingestellt, weil sie bei den entscheidenden Vertragsgesprächen nicht anwesend gewesen sei. Auch den schriftlichen Hinweis der Deutschen Bank »Bevor Sie mit uns in Verbindung treten, sollten Sie sicherstellen, dass Sie das Geschäft verstehen« will die Kämmerin nicht gelesen haben.

In Hagen geht es jetzt ums Ganze. Alles, was eine Stadt lebenswert macht, steht zur Disposition. Es wurde ein »Sparmentor« geholt, der Politikwissenschaftler Stefan Bajohr, der Vorschläge machen sollte, wo die Stadt, die schon vor der Millionenpleite hoch verschuldet war, noch Abstriche machen könne. Bajohrs Krisenpaket enthält lauter Grausamkeiten: Schließung aller Bäder außer dem Zentralbad; den Rat verkleinern; weniger Busse; Hunde- und Vergnügungssteuer erhöhen; Musikschulbeiträge anheben; das Ballett schließen und das Theater verkleinern; weniger Öffnungstage in den Museen; Schulen zusammenlegen; Bibliotheken schließen.

Weil das nicht reichte, schlug der Sparkommissar zudem vor, die Grundsteuer um das Zweieinhalbfache zu erhöhen. Hagen würde damit für Hausbesitzer und Mieter zum teuersten Ort in ganz Deutschland werden – inmitten toter Schwimmbäder und geschlossener Bühnen. Davor schreckten die Stadtoberen zurück. Sie riefen eine Sparkommission zusammen, die sich etwas anderes ausdenken soll. Bajohr musste gehen.

Hagens Oberbürgermeister Peter Demnitz erklärte inzwischen, er werde zur Kommunalwahl im August nicht wieder antreten. Kämmerin Annekathrin Grehling wurde neue Kämmerin in Aachen. In einem Interview hatte sie zuvor gesagt, sie würde, sollte sich die Gelegenheit bieten, »noch einmal so handeln«. Mittlerweile, richtet ihre Vorzimmerdame im Aachener Rathaus aus, möchte sich Frau Grehling zum Thema Zinswetten nicht mehr äußern.

Bei ihrer Vereidigung im Weißen Saal des Rathauses hieß der Aachener Oberbürgermeister die neue Kämmerin Annekathrin Grehling mit den Worten willkommen: »Wir empfangen Sie mit offenen Armen in einer Situation, die finanziell nicht einfach ist. Ich bin aber überzeugt, dass Sie mit Ihrer Kompetenz und Zielgerichtetheit dafür sorgen werden, dass es uns in einigen Jahren finanziell besser geht.«

© 2009
Zeit Online - Die Rathauszocker 16.07.2009